Ja, wo soll ich nur anfangen bei so einem Bericht? Da bereitet man sich Wochen auf einen Wettkampf vor, läuft hunderte Kilometer zur Vorbereitung und auf einmal ist er da, der Tag X. Samstag, einen Tag vor dem Marathon war ich noch aufgeregt ohne Ende, die immer gleichen Fragen schossen mir durch den Kopf: „War die Vorbereitung gut genug?“, „Habe ich genug lange Läufe gemacht?“ und „Passt morgen alles zusammen?“ um nur einige zu nennen.
Sonntag morgen läuft dann erstmal alles nach Plan, meine Sachen habe ich am tag vorher schon rausgelegt, duschen, die obligatorische Tasse Kaffee am morgen, eine Schale Müsli, anziehen und los. Vor der Tür dann sofort der erste Dämpfer, in dem Moment in dem die Tür ins Schloss fällt merken Kathi und ich, dass wir uns gerade ausgeschlossen habe. Verdammt, wieso heute? Ich werde im Flur etwas lauter, wieso muss das ausgerechnet heute passieren? Nach kurzer Diskussion beschließen wir erstmal zu fahren und später den Schlüsseldienst zu rufen. Dummerweise liegt man Handy auch noch in der Wohnung, also gibt es heute dann kein Live-Tracking von mir…
Die Fahrt läuft wie geplant, ein Parkplatz direkt an einer Bahnhaltestelle ist auch sofort gefunden. Das Wetter stimmt absolut, es ist bewölkt und sieht nach Bestzeitenwetter aus, gut so, nach der Hitzeschlacht vom letzten Jahr habe ich keine Lust auf eine Wiederholung. Die Bahn befördert uns schnell auf die andere Rheinseite, von da aus geht sofort zur „Kreuzung“ von Kilometer 8/20, schon von weitem erkenne ich unser Teamfahrzeug.
Teamfahrzeug? Richtig, da war ja noch was… Samstag habe ich mich bei einem Verein angemeldet, dem Team Essen`99 und werde zukünftig von Ernst-Peter Berghaus (hier gibt es einen kurzen Artikel über ihn) trainiert. Für mich ist das ein absoluter Glücksfall und ich freue mich schon sehr über die gemeinsame Arbeit.
Angekommen halfen wir noch bei den letzten Aufbauarbeiten des „Streckenbelebungspunktes“ damit später richtig Stimmung aufkommt. Danach ging es dann erst im Laufschritt, dann auf dem Fahrrad zur Oberkasseler Brücke, hier war um 8:30 ein Treffen von Bekannten aus einem Laufsportforum angesetzt, es war echt schön die Menschen hinter ihren Benutzernamen in echt kennenzulernen. Ulli war zum Glück auch da, bis zuletzt war leider nicht klar ob Ulli hätte starten können oder nicht, zum Glück ging es aber nun, wir wollten schließlich zusammen starten und laufen! So langsam ging es in die Startblöcke, auf dem Weg dorthin habe ich noch Anja getroffen und ihr viel Erfolg für die Mission Sub4 gewünscht. Ulli und ich sortierten uns kurz vor den 4:30 Pacern ein. Einer der 4:30 Pacer war Jörg „Yogi“ Schranz, ein bekannterer deutscher Ultraläufer, bis zu diesem Tag kannten wir uns nur bei Facebook, vor dem Start bin ich dann noch schnell hin und habe auch mal in echt „Hallo“ gesagt. Ulli und ich wollten so eine Zielzeit von 4:20-4:30 anvisieren, starten wollten wir auf jeden Fall mit einem Pace zwischen 6:06-6:09 min/km.
Dann ging es los! Mit dem Startschuß setzten sich 4000 Marathonläufer in Bewegung und machten sich auf die 42.195 .km. Nach circa 2 Minuten hat sich das Feld soweit abgesetzt, dass man endlich über die Ziellinie läuft und es endlich los geht, jetzt zählt es! Die ersten Kilometer gehen schnell vorbei, Zwischeneiten bekomme ich heute eh nur bei Kilometer 10, 21.1, 30 und 40, mein Trainer hat mir verboten heute mit Pulsuhr zu starten, ich soll mich auf meinen Körper konzentrieren. Das Tempo von Ulli und mir ist gut und schon haben wir die ersten 5km hinter uns. Auch wenn die Temperaturen nicht sehr hoch sondern eher optimal sind fange ich sofort am ersten Verpflegungspunkt an zu trinken. Bei Kilometer 8 laufen wir das erste mal am Teamstand vorbei, noch ist alles super, es geht jetzt über die Oberkassler Brücke auf die andere Rheinseite, auf der Brücke kommt uns auf der anderen Seite die ersten Spitzenläufer entgegen, später dann noch Marian Blaszinski, Jan Fitschen, die Elitefrauen, Marc-Andre Ocklenburg und Anna Hahner. Es ist unfassbar wie schnell die unterwegs sind, wir haben gerade mal 10 km hinter uns und die laufen gerade alle Richtung Halbmarathonmarke, echt unglaublich! Die 10km Marke passieren wir nach 1:01:07 und liegen damit voll auf Kurs von 4:20.
In Oberkassel sind die Straßen leerer als letztes Jahr, insgesamt sind nicht so viele Menschen auf den Straßen unterwegs, die Wolkendecke hat anscheinend doch viele abgehalten sich an die Strecke zu stellen, schade eigentlich. Die Kilometer fliegen so dahin, ab Kilometer 17 habe ich auf einmal Probleme, meine hintere Oberschenkelmuskulatur schmerzt auf einmal und verkrampft leicht, egal weitermachen, Ulli motiviert mich und so ziehen wir weiter. Auf der Lueg-Allee ist wieder mehr los, die Menschen feuern einen an, das gibt zusätzliche Motivation. Als nächstes geht es wieder „bergauf“ über die Oberkassler Brücke, zum Glück haben wir dieses Jahr hier keinen starken Wind. Kurz vor dem Verpflegungsstand an Kilometer 20 muss ich Ulli laufen lassen, ich muss ein Stück gehen, die Muskeln tuen einfach zu sehr weh und es sind noch über 21 km bis ins Ziel. UIli dreht sich mehrfach um aber ich kann die Lücke zwischen ihm und mir einfach nicht füllen, es geht einfach nicht. Vielen Dank Ulli fürs mitziehen bis hierhin, ab hier kämpft jeder alleine und ich wollte dir echt keine Last sein (was ja auch gut war, dazu aber später mehr). Wie soll ich diese verdammte Strecke bitteschön noch laufen wenn es jetzt schon weh tut? Wozu war denn die Vorbereitung da? Nächstes mal gibt es viel viel mehr lange Läufe, soviel ist sicher!
Ich laufe weiter und passiere als nächstes meinen Teamstand und nehme die Motivation durch Kathi und Peter mit, direkt danach passiere ich die Halbmarathonmarke. 02:10:20, die 4:20 sind also theoretisch noch drinnen, praktisch weiß ich aber jetzt schon, dass das wahrscheinlich nichts wird, dazu habe ich jetzt schon zuviel Probleme. Bei Kilometer 22 gehe ich wieder ein Stückchen, danach laufe ich wieder und kämpfe mich von Kilometermarke zu Verpflegungsstand, immer wenn es nicht mehr geht gehe ich. Das schlimmste ist, dass ich echt einer der ersten Läufer bin die gehen müssen, Motivation sieht anders aus, wenigstens feuern einen die Zuschauer an und dank Namen auf der Startnummer höre ich immer wieder Zurufe a la „Komm Sebastian, weiter gehts, ist nicht mehr weit!“. Ab Kilometer 23 drehe ich mich immer wieder um und schaue mich nach den 4:30 Pacern um, noch sind sie aber nicht zu sehen, ich liege also noch immer auf Bestzeitenkurs, weiß aber auch ganz genau, dass der härteste Teil noch vor mir liegt. Etwa bei Kilometer 25.5 kommen die 4:30 Läufer angelaufen, zu meiner Verwunderung kann ich Jörg nirgendwo erkennen, seine Ballons scheint er an einen anderen Läufer abgegeben zu haben. Für einen weiteren Kilometer kann ich an die Gruppe hängen, danach muss ich sie wieder laufen lassen, ich kann nicht mithalten und muss wieder gehen. Egal was heute passiert, ich will finishen, die Gedanken vom Ausstieg sind nicht mehr da, aber es ist noch so unglaublich weit… Wieso kann ich einen Halbmarathon in 5:30 min/km ohne Probleme laufen, habe bei Distanzen über 21 km aber immer Probleme? Will ich „es“ vielleicht nicht genug?
Bei Kilometer 26.5 höre ich auf einmal von hinten wie „Komm Sebastian, langsam weiterlaufen!“. Wieso höre ich denn meinen Namen, ich habe doch hinten nichts auf meinem Trikot stehen? Als ich zur Seite schaue sehe ich Jörg, ohne Ballons ist er inzwischen alleine unterwegs. Mein Gott bin ich dankbar das Jörg hier ist, vielleicht sollte ich das kurz erklären:
Jörg ist Ultraläufer, er läuft also gerne mal Distanzen über 42.195 km, auch die TorTour de Ruhr, den längsten NonStop Ultralauf Deutschlands mit 230 km Länge (Einmal die Ruhr von Quelle bis Mündung in den Rhein) ist er schon gelaufen, eine kleine Übersicht gibt es hier. Als Ultraläufer kennt Jörg sich also mit den langen Distanzen bestens aus und ich hoffe davon etwas zu profitieren. Wir laufen also weiter und siehe da, es geht auf einmal wieder. Klar tut es immer noch weh, aber Jörg sagt mir, dass ich nicht an die Schmerzen denken sondern einfach langsam weiterlaufen soll und es funktioniert. Wir unterhalten uns und das macht es noch besser, ich bin abgelenkt und laufe einfach weiter. So bei Kilometer 28 haben wir auf einmal noch mehr Begleitung bekommen, Monika begleitet uns ab jetzt und wir laufen zusammen, das tut gut und stärkt einen Mental. Auch wenn es weh tut, weiterlaufen ist die beste Motivation und gleich haben wir die 3 vor den Kilometerzahlen stehen, ab da ist es quasi nur noch eine „Zollvereinrunde“ und gar nicht mehr weit.
Ab dem Moment wo wir in der Gruppe laufen läuft es bei mir viel besser, mir kommt es so vor, als lägen die Verpflegungspunkte dieses Jahr viel näher beisammen und das ist gut. Ab Kilometer 32 habe ich wenig Erinnerung an die Strecke aus dem Vorjahr, in der Düsseldorfer Innenstadt sieht für mich alles gleich aus. Unterwegs gabeln wir noch einen Läufer auf und ich motiviere ihn langsam mit uns weiterzulaufen. Auch wenn die Muskeln weh tun, es läuft wieder, ich werde teilweise sogar etwas zu schnell und muss mich bremsen um bei der Gruppe zu bleiben. Ab und zu gehen wir ein kurzes Stück, wir verfallen aber immer wieder in den Laufschritt, auch wenn wir nicht schnell unterwegs sind.
Die Sonne kommt etwas raus und ich erwische mich dabei wie ich auf einmal ein Lächeln auf dem Gesicht habe. Ab Kilometer 32 überholen wir etliche Marathonläufer, das motiviert zusätzlich und ich weiß, dass ich finishen werde, die Zeit ist mir egal, Hauptsache ankommen. Irgendwo bei Kilometer 34 sehe ich auf einmal Anja, ich erfahre nur, dass sie mit Magenkrämpfen ausgestiegen ist, sehr sehr schade wie ich finde, bei gesundheitlichen Gründen kann man aber leider nichts machen und der nächste Marathon kommt bestimmt.
Ab dem Medienhafen kenne ich mich wieder aus, Jörg schaut bei Kilometer 38.5 auf seine Uhr und sagt mir, dass ich vielleicht noch meine persönliche Bestzeit schlagen kann wenn ich jetzt etwas Gas gebe. Ich bedanke mich bei allen und laufe los. Bei Kilometer 39 ist dann nochmal unser Teamstand, Peter hat inzwischen den Stand hierhin verlegt um hier nochmal ordentlich Stimmung zu machen und alle Läufer auf den letzten 3 Kilometern zu motivieren. Als er mich sieht läuft er ein Stück nebenher und macht Fotos.
Auf der Kö sind es dann nur noch 2 Kilometer und 195 Meter bis ins Ziel, inzwischen ist die Sonne komplett rausgekommen und es wird warm. Am letzten Verpflegungsstand nochmal Wasser, Iso und Cola genommen, weit ist es nicht mehr! Auch wenn ich versuche durchzulaufen muss ich immer wieder Gehpausen machen, die Stimmung auf der Kö ist genial und mir meine Gehpausen kurz vor dem Ziel schon fast peinlich.
Noch einen Kilometer, nochmal eine Anfeuerung von Peter und dann geht es runter zum Rhein und ich kann das Ziel sehen. Verdammt, wieso ist das noch so weit, war das Ziel letztes Jahr auch so weit weg? Zielgerade, nochmal beschleunigen, rechts am Rand unter den Zuschauern steht Kathi, dann geht es mit erhobenen Armen durchs Ziel,. die Uhr steht bei 04:46:51, wahrscheinlich habe ich damit meine PB leicht verpasst – auch egal. Ich gehe auf die Knie und küsse den Boden. Heute habe ich einen großen Kampf gegen mich gewonnen und eine riesengroße Lektion gelernt, vielen Dank dazu noch einmal an meinen Lehrer Jörg dafür.
Direkt im Ziel gibt es die Belohnung für die geschafften 42,195km, eine echt schöne Medaille mit einem kleinen beweglichen „Radschläger“ und natürlich bin ich stolz. Auf dem Weg in den Nachzielbereich halte ich Ausschau nach Jörg und bedanke mich nochmal bei ihm. Im Nachzielbereich gibt es dann erstmal ein Erdinger Alkholfrei und Berliner Ballen, ich treffe Ulli wieder, er hat es echt geschafft in dem Tempo durchzulaufen und hat seine persönliche Bestzeit pulverisiert und kam nach 04:20:05 ins Ziel, herzlichen Glückwunsch und absoluten Respekt & Hochachtung hierzu! Hast du gut gemacht Ulli!
Vielen Dank an Kathi, Peter, Ulli, Jörg, Anja und alle anderen, ohne euch hätte ich das nicht geschafft. Vielen Dank auch für die ganzen Glückwünsche von euch, ihr seid echt toll!
42.195km, 04:44:19 (und damit 1 Minute 56 Sekunden an meiner Bestzeit vorbei), 6:44 min/km.
Nachdem wir dann mit Hilfe eines Schlüsseldienstes wieder in die Wohnung konnten gab es für mich noch eine Überraschung nach der Dusche, 98.8kg ist klar unter 100kg und damit ein erstes großer Erfolg für das Projekt 85! Nur zur Erinnerung: Am 14. Januar habe ich noch stolze 107.5 kg auf die Waage gebracht, 8.7 kg sind also schon wieder weg dieses Jahr und 13.8 kg sollen noch folgen! Die Pizza Abends hatte ich mir trotzdem verdient…
Die nächsten Tage werde ich locker angehen, heute geht es noch schwimmen um die Muskeln aufzulockern, vielleicht kann ich Donnerstag oder so ja schon wieder eine vorsichtige Laufeinheit machen, richtig Muskelkater habe ich jedenfalls nicht. Ich freue mich schon sehr auf das kommende Training und Wettkampfjahr mit Trainer, genug Motivation für weitere Erfolge, auch wenn es „nur“ der Sieg über den inneren Schweinehund ist (vielleicht sogar der größte Erfolg von allen?!), ist jedenfalls da!
Ach ja, noch mehr Fotos gab es bereits hier…